Im Faktenblatt haben wir für Sie das Wichtigste rund um das Thema „Betriebliches Eingliederungsmanagement“ kurz und knapp zusammengefasst: Hintergrund & Ziele, BEM-Ablauf im Detail, Erfolgsfaktoren und Fehlerquellen, Nutzen.

Das Anliegen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ist es, das Thema „Wiedereingliederung“ und damit die Sekundär- und Tertiärprävention auf mehrere Schultern zu verteilen. Auf diese Weise sollen Folgen, die mit einer älter werdenden Erwerbsbevölkerung einhergehen (u.a. längere Arbeitsunfähigkeit, hohe Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten, altersbedingtes Risiko einer dauerhaften Leistungsminderung), kompensiert werden.
Tatsache ist: Der Anteil der älteren Beschäftigten (45 - 64 Jahre) wird in den nächsten Jahren immer weiter steigen. Parallel findet ein Rückgang der Gruppe der jüngeren potenziell Erwerbstätigen (25 - 44 Jahre) statt – Stichwort Demografischer Wandel. Diese Entwicklung ist bereits in vollem Gange: So ist der Anteil der beschäftigten BKK-Mitglieder im Alter über 45 Jahren im letzten Jahrzehnt um mehr als 17% angestiegen. Dazu ist der Anteil der AU-Tage mit einer Dauer von mehr als sechs Wochen um 4% gestiegen.
Mit der Etablierung des BEM soll Arbeitsunfähigkeit überwunden und einem wiederholten Arbeitsausfall vorgebeugt werden. Darüber hinaus soll BEM die Leistungsfähigkeit verbessern und die Erwerbsbeteiligung durch Vermeidung von Frühberentungen sichern. Die Folge: eine längere Lebensarbeitszeit und die Verhinderung krankheitsbedingter Kündigungen.

#1: Feststellung der Arbeitsunfähigkeitsdauer

Zunächst ist festzustellen, ob die Sechs-Wochen-Frist erreicht ist. Ausschlaggebend ist dabei die Dauer der gesundheitlichen Beeinträchtigung; arbeitsfreie Tage (z.B. Wochenende) sind also grundsätzlich mit einzubeziehen.
Bei einer Krankheitsdauer mit Unterbrechungen muss die Dauer der Arbeitswoche mit berücksichtigt werden:

  • 5-Tage-Woche = 30 Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeit
  • 6-Tage-Woche = 36 Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeit

Die gesetzlich definierte Frist „innerhalb eines Jahres“ bezieht sich nicht auf das Kalenderjahr, sondern auf die letzten zwölf Monate ab dem Zeitpunkt der ersten Arbeitsunfähigkeit. Die Art der Erkrankung ist für die Berechnung der Sechs-Wochen-Frist unerheblich.

#2: Kontaktaufnahme/Erstkontakt – Sprechen Sie die Beschäftigen an

Im zweiten Schritt nimmt der Arbeitgeber, in der Regel vertreten durch die Personalabteilung oder das Integrationsteam (s.u.), Kontakt zu den Betroffenen auf.

Um eine Vertrauensbasis zu schaffen, sollte das gesamte Verfahren schon im Einladungsschreiben auf ein Maximum an Transparenz ausgelegt sein und den Beschäftigten entsprechend formuliert werden. Dabei sollte Betroffenen ermöglicht werden, eigene Wünsche zum Erstgespräch zu äußern.

#3: Erst-/Vorgespräch – Suchen Sie das Gespräch

Die im Einladungsschreiben aufgezeigten Punkte sollten zu Beginn des Gesprächs aufgegriffen und näher erörtert werden.
Im Erstgespräch kann bereits – ggf. unter Hinzuziehung des Betriebsarztes, Betriebs-/Personalrates oder der Schwerbehindertenvertretung – geklärt werden:

  • ob arbeitsbedingte Ursachen krankheitsauslösend waren
  • welche Leistungseinschränkungen die Erkrankung zur Folge hat
  • welche Leistungspotenziale bestehen

Im Rahmen des Gesprächs werden unter Berücksichtigung der Wünsche und Vorstellungen des Beschäftigten erste Wiedereingliederung-Ziele erarbeitet und mögliche Perspektiven aufgezeigt.
Wichtig ist es, eine schriftliche Einwilligungserklärung mit Hinweis auf datenschutzrechtliche Bestimmungen einzuholen. Ohne dieses Dokument dürfen weder Informationen von Dritten eingeholt noch an Dritte weitergegeben werden.

#4: Fall-Besprechung – Lassen Sie die Betroffenen teilhaben

Die Fallbesprechung erfordert von allen Beteiligten Offenheit und Ehrlichkeit wie auch die Bereitschaft, sich auf die Sichtweise der Anderen einzulassen sowie den Entschluss zur gemeinsamen Lösungsfindung. Der/die betroffene MitarbeiterIn sollte an der Fallbesprechung teilnehmen. Auch wenn die Anwesenheit nicht zwingend ist, so steht der betroffene Beschäftigte stets im Mittelpunkt des Verfahrens.

Das Ergebnis der Fallbesprechung ist im Idealfall ein verbindlicher Integrationsplan mit Hinweisen zum Vorgehen und zu Eingliederungsangeboten. Unterstützend können weitere inner- bzw. außerbetriebliche Stellen involviert werden (z.B. Integrationsamt, Rentenversicherungsträger, Reha-Kliniken oder Krankenkassen). Ein fallbezogener Integrationsplan setzt allerdings voraus, dass die Beteiligten erstens die Anforderungen des Arbeitsplatzes kennen und zweitens mit dem Leistungs- und Fähigkeitsprofil der/des Betroffenen vertraut sind.

#5: Maßnahmen-Umsetzung – Finden Sie gemeinsam eine Lösung

Das BEM-Gesetz zeigt eine Vielzahl von Wegen zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit auf: Belastungserprobung und Arbeitstherapie nach § 42 SGB V, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben § 33 - § 38 SGB IX sowie § 35 SGB VII. Weitere Maßnahmen sind beispielsweise die externe berufliche Qualifizierung, eine Reduzierung der Arbeitsbelastung, Anpassung der Arbeitsaufgaben, Verringerung der Arbeitszeit oder die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz.

Eine häufige und erfolgreiche Form der beruflichen Reintegration ist die „stufenweise Wiedereingliederung“ (§ 74 SGB V, § 28 SGB IX): Sie bietet den Betroffenen die Möglichkeit, sich allmählich an die Anforderungen des Arbeitsplatzes zu gewöhnen und die verlorene Leistungsfähigkeit Schritt für Schritt wieder aufzubauen. Während dieser Zeit dauert die Krankschreibung offiziell an – es wird also auch weiterhin Krankengeld überwiesen. Die Betreuung des Einzugliedernden erfolgt dabei in enger Abstimmung mit dem behandelnden Arzt.

#6: Wirksamkeitsprüfung – Nutzen Sie die Prüfung, um besser zu werden

Die Überprüfung und Bewertung der Maßnahmen ist wichtig: Nur so können Sie positive und negative Faktoren erkennen und diese Erfahrungswerte in die Arbeit einfließen lassen. Folgende Werkzeuge sind hierfür unter anderem nützlich:

  • individuelle Bewertung der Einzelfallarbeit
  • selbstkritischer Erfahrungsaustausch mit den BEM-Beteiligten
  • Sind die Betroffenen und Vorgesetzten mit dem BEM-Prozess und den damit erreichten Zielen zufrieden?
  • Erfassung der Krankheitszeiten nach BEM-Durchführung
  • Erfassung der krankheitsbedingten Kündigungen

Folgende Kennzahlen können zur BEM-Bewertung herangezogen werden:

  • AU-Tage
  • Erhebung der Zufriedenheit
  • Kosten für Zusatzpersonal oder Umgestaltungs-/Umbaumaßnahmen
  • BEM-bedingte Anschaffungskosten (z.B. ergonomisch optimierter Arbeitsplatz)
  • Qualifizierungskosten
#7: Dokumentation – Legen Sie Wert auf Transparenz & Nachvollziehbarkeit

Die Dokumentation dient neben der Strukturierung und Steuerung des Vorgehens auch der Beweissicherung über die ordnungsgemäße Durchführung. Sie ist eine wichtige Grundlage für die Evaluation.
Hierzu bietet es sich an, eine fallbezogene BEM-Akte anzulegen:

  • BEM-Deckblatt: Vor- und Nachname des betreffenden Mitarbeiters, Personal-Nr., Abteilung, Vorgesetzter, Tätigkeit, Telefon-Nr., E-Mail-Adresse
  • Kontakt: Kontaktdaten des betreffenden Mitarbeiters, Erst-/ Wiederholungs- und Antwortschreiben, Dokumentation der Telefonanrufe/-gespräche bzw. des Mailverkehrs
  • Datenschutz: Aufklärungsprotokoll, Einwilligungserklärung zur Erhebung von Daten oder Übermittlung von Daten an Dritte, ggf. Schweigepflichtentbindung
  • Situationsanalyse: Arbeitssituationsanalyse, Arbeitsplatz-/Tätigkeitsbeschreibung, Gefährdungsbeurteilung, Begehungsprotokoll, Beschäftigtenfragebogen/Selbsteinschätzung, Atteste, Reha-Entlassungsbericht, Untersuchungsergebnis und Gespräch mit Arbeitsmediziner
  • Wiedereingliederungs-Maßnahmen: individuelle Anforderungs- und Fähigkeitsprofil, Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes, Eingliederungsplan, Maßnahmenplanung, Protokolle der Arbeitsversuche, Dokumentation der Gestaltungsmaßnahmen am Arbeitsplatz (technisch, organisatorisch, personell)
  • Ergebnisprotokoll: Zusammenfassung der im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung ermittelten Punkte

Das Integrationsteam ist das BEM-Steuerungsgremium und sollte eine feste Institution im Betrieb sein. Wichtig sind dabei feste Ansprechpartner, vom Vertreter der Personalabteilung über den Betriebs-, oder Personalrat bis hin zur Schwerbehindertenvertretung. Je nach Bedarf können auch weitere Fachleute hinzugezogen werden, wie beispielsweise der betriebsärztliche Dienst oder Datenschutzbeauftragte.

Zu den Aufgaben des Integrationsteams gehört u.a.:

  • interne Öffentlichkeitsarbeit
  • Kontaktaufnahme zum betroffenen Beschäftigten
  • Situationsanalyse
  • Maßnahmen ermitteln, planen und durchführen
  • Kooperation mit internen und externen Experten und gesundheitsrelevanten Stellen
  • Abstimmung mit den Sozialversicherungsträgern
  • Wirksamkeitskontrolle
  • Dokumentation (BEM-Akte)

Eine Reihe von Untersuchungen haben Faktoren identifiziert, die ein BEM-Verfahren positiv beeinflussen bzw. blockieren können. Eine der größten Hürden ist dabei die fehlende Bereitschaft der Anspruchsberechtigten, sich betreuen zu lassen. Grund hierfür ist oftmals fehlendes Vertrauen zwischen dem Arbeitgeber und den Beschäftigten wie auch deren Interessenvertretungen. Die Beschäftigten sind im Rahmen des BEM-Prozesses nicht zur Offenlegung ihrer gesundheitlichen Situation verpflichtet – trotzdem erhalten Arbeitgeber weitreichende Einblicke, die im Normalfall Teil der individuellen Privatsphäre bleiben. Es ist nachvollziehbar, dass hier zunächst Bedenken aufkommen – diese können aber ausgeräumt werden.
Eine Studie zur BEM-Bestandsaufnahme in Deutschland hebt als ein wesentliches Ergebnis heraus, dass BEM häufiger und erfolgreicher umgesetzt wird, wenn Strukturen oder Ansprechpersonen für die Bereiche Gesundheit und Demografie existieren. Betriebs-/Organisationsinterne Ansprechpersonen, wie Werks- bzw. Betriebsarzt und auch die Schwerbehindertenvertretung wirkten häufig ebenfalls positiv auf die BEM-Umsetzung.

Fördernde Faktoren:
  • offener Umgang mit dem Thema Krankheit und Leistungsminderung
  • rechtzeitige Ansprache
  • feste Ansprechpartner mit fundierten Kenntnissen
  • Aufklärung über Freiwilligkeit
  • positives Betriebsklima
  • externe Beratung
  • betriebliche Vereinbarung zum BEM
  • altersgerechte Personalentwicklung
  • Kooperation mit Reha-Trägern
Störfaktoren und Fehlerquellen:
  • Tabuisierung von Krankheit
  • Informationsdefizit bei Arbeitgebern und Beschäftigten
  • fehlende Fehlzeitenerfassung, geringe Fehlzeiten
  • fehlende Prioritätensetzung
  • Motivationsprobleme und mangelnde Mitwirkungsbereitschaft seitens des Betroffenen
  • eigenmotivierte Kündigungen
  • geringe Eigenverantwortlichkeit der Beschäftigten
  • Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente bereits vor BEM-Einleitung
  • Unterzeichnung von Aufhebungsverträgen durch die Mitarbeiter
  • fehlende Verfügbarkeit geeigneter Arbeitsplätze & eingeschränkte Eingliederungsmöglichkeiten
  • mangelnde Qualität des BEM-Prozesses
  • mangelnde Kompetenz oder fehlendes Engagement betrieblicher Akteure einschließlich der Betriebsärzte
  • fehlende, ungenügende oder nicht adäquate externe Unterstützung durch die Sozialleistungsträger
  • mangelhafter Datenschutz

Der Nutzen des BEM zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit liegt bei mehreren hundert Euro. Selbst in Fällen, in denen die Leistungsfähigkeit nicht wieder vollständig erreicht wird, kann von einer positiven Bilanz ausgegangen werden.
Ein weiterer Vorteil: Unternehmen und Organisationen haben Rechtssicherheit, wenn ein Arbeitsverhältnis trotz aller Integrationsbemühungen nicht weiter erhalten werden kann.

Mit einem etablierten Betrieblichen Eingliederungsmanagement und verantwortungsvollen Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter präsentieren sich Unternehmen nach innen wie auch nach außen als fairer Arbeitgeber. Dies fördert die Motivation und Zufriedenheit der eigenen Belegschaft, entfaltet eine Streuwirkung auf Dritte und weckt das Interesse potenzieller Fachkräfte.